Multiple Sklerose und Fatigue – Wenn die Energie versiegt


Fatigue gehört zu den häufigsten und zugleich belastendsten Symptomen der Multiplen Sklerose (MS). Schätzungen zufolge leiden bis zu 80 % der Betroffenen im Verlauf ihrer Erkrankung an einer Form dieser tiefgreifenden Erschöpfung. Doch was steckt wirklich dahinter, wenn Körper und Geist keine Energie mehr finden? Und welche Rolle spielt dabei unser körpereigenes Stresssystem – die sogenannte HPA-Achse?


Was bedeutet Fatigue bei MS eigentlich?

Fatigue ist nicht einfach Müdigkeit. Sie ist eine pathologische Erschöpfung, die in keinem Verhältnis zu vorheriger Aktivität steht und sich auch durch Schlaf oder Ruhe kaum bessert. Betroffene beschreiben sie als eine „Bleischwere“, ein Gefühl, als sei der Körper leer und der Kopf vernebelt. Diese Energiekrise betrifft sowohl körperliche als auch kognitive Funktionen – die Konzentration lässt nach, die Muskeln ermüden schneller, und selbst alltägliche Aufgaben können zur Überforderung werden.


Warum tritt Fatigue so häufig bei MS auf?

Die Ursachen sind komplex und multifaktoriell. Mehrere Mechanismen können zusammenwirken:

  • Neuroinflammation: Entzündliche Prozesse im zentralen Nervensystem führen zu einer veränderten Signalübertragung und beeinflussen den Energiestoffwechsel im Gehirn.
  • Mitochondriale Dysfunktion: Nervenzellen benötigen enorme Mengen an Energie. Bei MS zeigen sich Hinweise auf eine gestörte Mitochondrienfunktion, was die Energieproduktion einschränkt.
  • Zytokin-vermittelte Effekte: Entzündungsbotenstoffe wie IL-1β, IL-6 und TNF-α aktivieren das Immunsystem dauerhaft und können Müdigkeit fördern – ähnlich wie bei Infekten.
  • Hormonelle Dysregulationen: Insbesondere die HPA-Achse, das zentrale Stressregulationssystem, spielt eine entscheidende Rolle.

Die HPA-Achse – das Stresszentrum des Körpers

Die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse (HPA-Achse) ist die Hauptschaltstelle unserer Stressregulation.
Sie funktioniert wie ein fein abgestimmtes System aus drei Ebenen:

  • Hypothalamus: Gibt bei Stress das Corticotropin-Releasing-Hormon (CRH) frei.
  • Hypophyse: Reagiert auf CRH, indem sie adrenocorticotropes Hormon (ACTH) ausschüttet.
  • Nebennierenrinde: Produziert unter dem Einfluss von ACTH das Stresshormon Cortisol.

Cortisol hilft, Energie zu mobilisieren, Entzündungen zu kontrollieren und das Gleichgewicht zwischen Anspannung und Erholung zu steuern.


HPA-Achse und MS-Fatigue – eine gestörte Balance

Bei Menschen mit MS zeigt sich häufig eine veränderte Cortisol-Antwort auf Stress. Studien weisen auf eine Hyporeaktivität der HPA-Achse hin – das bedeutet, dass der Körper auf Stressreize nicht mehr adäquat reagiert.
Diese „Erschöpfung“ der Stressachse führt zu:

  • einer verminderten Cortisolausschüttung,
  • chronisch erhöhten Entzündungsmarkern,
  • und einem gestörten circadianen Cortisolrhythmus.


Das Resultat:
Dauerstress auf zellulärer Ebene – der Organismus kann nicht mehr zwischen Belastung und Erholung unterscheiden. Diese Dysregulation trägt maßgeblich zur Fatigue, aber auch zu Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen und kognitiver Verlangsamung bei.


Ganzheitliche Wege aus der Erschöpfung

Ein gezielter Ansatz sollte sowohl körperliche als auch neuroendokrine Faktoren berücksichtigen. Evidenzbasierte naturheilkundliche Maßnahmen können helfen, die HPA-Achse zu stabilisieren und den Energiehaushalt zu regenerieren:


1. Rhythmus und Erholung fördern

  • Regelmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus
  • Erholungsphasen nach mentaler oder körperlicher Anstrengung, bzw. Pausen machen bevor die Erschöpfung eintritt
  • Atemübungen (z. B. 4-7-8-Atmung, kohärente Atmung) zur Aktivierung des Parasympathikus


2. Entzündungsprozesse regulieren

  • Omega-3-Fettsäuren (Fischöl oder Algenöl)
  • Curcumin, Grüntee-Extrakt, Resveratrol
  • Antioxidantienreiche Ernährung mit viel Gemüse, Beeren und Gewürzen


3. Mitochondrien unterstützen

  • Coenzym Q10, Acetyl-L-Carnitin, B-Vitamine (besonders B2, B3, B5, B12)
  • Ausreichende Zufuhr von Magnesium und Alpha-Liponsäure


4. HPA-Achse balancieren

  • Adaptogene Pflanzen wie Rhodiola rosea, Ashwagandha oder Eleutherococcus (Sibirischer Ginseng)
    (nach Rücksprache mir Arzt/ Heilpraktiker und individueller Verträglichkeit)
  • Achtsamkeitsübungen, Meditation, moderate Bewegung (Ausdauersport)


5. Darm-Hirn-Achse stärken

Da Entzündungsmediatoren und Stresshormone eng mit der Darmbarriere verbunden sind, lohnt sich eine begleitende Darmtherapie – z. B. mit präbiotischer Ernährung und gezielten Probiotika. Außerdem spielen kurzkettige Fettsäuren, die von bestimmten Darmbakterien produziert werden, eine wichtige Rolle.


Mehr über die Rolle der Darmflora und kurzkettigen Fettsäuren bei MS-Fatigue erfahren Sie im ergänzenden Artikel:
👉 „Die Rolle der kurzkettigen Fettsäuren bei MS-Fatigue: Energie aus dem Darm“


Fatigue bei Multipler Sklerose ist mehr als bloße Erschöpfung – sie ist Ausdruck einer gestörten Stress- und Energiehomöostase. Die HPA-Achse spielt dabei eine Schlüsselrolle, denn sie verbindet Immunsystem, Hormonsystem und Nervensystem miteinander. Ein ganzheitlicher Ansatz, der Entzündung, Mitochondrienfunktion und Stressregulation gleichermaßen berücksichtigt, kann helfen, die Energie langsam zurückzugewinnen – und damit Lebensqualität und Selbstwirksamkeit zu stärken.


Hinweis:
Dieser Artikel ersetzt keine ärztliche oder therapeutische Beratung.
Er dient der Information und möchte Betroffenen Wege aufzeigen, das Fatigue-Syndrom besser zu verstehen und aktiv zu unterstützen.